Künstliche Befruchtung und Volkes Meinung

Bei der Entscheidung darüber, ob ein Bürger Kosten absetzen darf, kann es nach Meinung des Bundesfinanzhofs auch darum gehen, ob dessen Lebensform einer „in der Gesellschaft vorherrschenden Auffassung“ entspricht. Der Bundesfinanzhof hat diese Aussage in die Begründung eines neuen Urteils aufgenommen. Dabei ging es um die Frage, ob eine Frau berechtigt ist, gut 14.000 Mark für eine künstlichen Befruchtung mit eigenen Eizellen und dem Samen ihres Partners („In-vitro-Fertilisation“) steuerlich abzusetzen. Der Bundesfinanzhof hat ihr das Recht nicht zugestanden (Aktenzeichen III R 30/03) .

Die Frau hatte beantragt, diese Kosten als „außergewöhnliche Belastung“ anzuerkennen. Solche Ausgaben akzeptiert das Gesetz, wenn sie „zwangsläufig“ sind, was voraus setzt, dass sich ein Bürger ihnen aus „rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann“ (so Paragraf 33 Einkommensteuergesetz).

Der BFH hatte vor acht Jahren entschieden, dass die Kosten einer künstliche Befruchtung einer verheiratete Frau mit den Samenzellen ihres Gatten als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden können. In dem damaligen Urteil stufte der BFH dies bei einer unfruchtbaren Frau als Heilbehandlung ein. Die Richter hatten das damals mit der Ansicht begründet, dass es möglich sei, Unfruchtbarkeit als eine Krankheit anzuerkannen. Was eine Krankheit sei, hänge nämlich auch von der sich wandelnden Auffassung der Gesellschaft ab und der jeweiligen Rechtskultur. Werde aber die Unfruchtbarkeit einer verheirateten Frau als Krankheit anerkannt, so könne die künstliche Befruchtung dieser Frau ebenfalls eine Heilbehandlung sein. Folglich könnten auch die Kosten dieser Behandlung eine außergewöhnliche Belastung darstellen (Urteil vom 18.6.1997, Aktenzeichen III R 84/96).

In dem neuen Urteil beruft sich das Gericht auf die damalige Entscheidung. Diesmal indes ist die Klägerin eine unverheiratete Frau in einer festen Partnerschaft, weshalb die Richter ihren Antrag ablehnen, die Kosten als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Ansonsten sind die Bedingungen der beiden Fälle ziemlich ähnlich. Zur Begründung der neuen Entscheidung hat das Gericht ein ganzes Bündel von Argumenten herangezogen und Vergleiche mit der Rechtsprechung der Sozialgerichte angestellt. Einer der tragenden Gründe besteht darin, dass auch die Krankenversicherung die Kosten einer künstliche Befruchtung nur dann trägt, wenn die Partner verheiratet sind.

Erneut begründet das Gericht sein Urteil auch mit der gesellschaftlichen Meinungsbildung. Die Presseerklärung des Gerichts zitiert das etwas verkürzt so:

Bei der Entscheidung sei auch die in der Gesellschaft vorherrschende Auffassung zu berücksichtigen, dass das Wohl des Kindes in einer Ehe eher gewährleistet sei als in einer festen Partnerschaft.

Im Übrigen klärt das Urteil differenziert über die Problematik auf, die rechtlich mit der künstlichen Befruchtung und ihrem gesellschaftlichen Umfeld verbunden ist.

Kommentar

Es ist dies Zitat, das stört. Die in der Gesellschaft – gerade zum Kindeswohl in der Ehe – vorherrschende Auffassung kann grundfalsch sein und war es geschichtlich diverse Male; über die Zeit hinaus, in der das heutige Einkommensteuergesetz entstand (1934). Schon in dem Urteil von 1997 hat sich das Gericht – der selbe Senat – auf die gesellschaftliche Meinungsbildung gestützt, und damit begründet, dass eine künstliche Befruchtung bei Verheirateten eine Heilbehandlung sein kann. Jetzt stützt sich das Gericht erneut auch auf die gesellschaftliche Auffassung, um zu begründen, dass das bei einer festen Partnerschaft ohne Trauschein nicht der Fall sein kann. Die empirische Studie, aus der die Richter derart feine Nuancen der gesellschaftlichen Auffassung herausziselieren, zitieren sie nicht.

Die gesellschaftliche Auffassung ist kein Tabu; aber darf sie in dieser Weise zur Untermauerung eigener Wertentscheidungen dienen? Das Gericht hätte beispielsweise Folgendes sagen können: Wenn ein Paar Vorbehalte aufrecht erhält, seine eigene Beziehung rechtlich verbindlich zu gestalten, so liegt darin auch ein klares Risiko für ein Kind. Will eine Frau, oder will ein Paar, dass die Gesellschaft sie bei den Kosten einer künstlichen Befruchtung entlastet, so kann die Gesellschaft ihrerseits erwarten, dass dieses Paar solche Vorbehalte zurück stellt und ihrem Wunschkind diesen verbindlichen Rahmen bietet. Auf eine vermutete Mehrheitsmeinung hätte das Gericht dann verzichten können.

Aber das ist natürlich politisch formuliert, nicht juristisch.

© Michael Weisbrodt

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