„Deutschlands schlimmstes Finanzamt"

Der Presserat hat die Zeitschrift impulse zum Abdruck einer Rüge verpflichtet. Das Wirtschaftsmagazin habe massiv gegen seine journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen.

684 Finanzämter und Außenstellen gibt es in Deutschland. Außenstellen unterscheiden sich von Finanzämtern vor allem dadurch, dass sie keinen eigenen Vorsteher oder keine Vorsteherin haben und meist auch weniger Zuständigkeiten. Oft fehlen aber auch den normalen Finanzämtern ganze Abteilungen, etwa die Betriebsprüfung. Manche Ämter sind total spezialisiert, so das Berliner Amt Pankow/Weißensee, das ausschließlich Kfz-Steuern bearbeitet. Es gibt auch zentrale Finanzämter nur für Betriebsprüfungen.

Das Finanzamt Hohenstein-Ernstthal am Rande des Erzgebirges im südlichen Sachsen etwa übernimmt auch die Betriebsprüfung der drei Finanzämter der Erzgebirgsstädte Annaberg, Stollberg und Zschopau, dazu die landwirtschaftliche Betriebsprüfung von Chemnitz Mitte und Chemnitz Süd. Das Finanzamt Chemnitz Mitte wiederum erledigt Schenkungs- und Erbschaftsteuer gleich für 12 Finanzämter, von Annaberg bis Zwickau Stadt, zudem den überwiegenden Teil der Lohnsteueraußenprüfung für 8 Finanzämter – hier wiederum von Annaberg bis Zschopau. Die Steuerfahndung und die Bußgeld- und Strafsachenstelle für Annaberg liegen beim Finanzamt Chemnitz Süd. Diese Aufgabenverteilung ist im Internet öffentlich aufgelistet.

Das beschauliche Finanzamt im Erzgebirgs-Städtchen Annaberg-Buchholz darf also eigentlich gar nichts: keine Erbschaftsteuer festsetzen, keine Außenprüfung und keine Lohnsteuerprüfung vornehmen und schon gar keine Fahndung. Nicht einmal ein Bußgeldbescheid verlässt das Gebäude.

Und doch soll es das allerschlimmste Amt der ganzen Bundesrepublik sein – unfähig und wirtschaftsfeindlich. Kein anderes deutsches Finanzamt würde bei der allgemeinen Betriebsprüfung größere Strenge walten lassen.

Nanu?

Das Wirtschaftsmagazin impulse hat diese Behauptung im April in einer Titelgeschichte aufgestellt, mit Zitaten von Steuerberatern belegt und durch eine Hitliste angeblich aller deutschen Finanzämter untermauert. Das Magazin will „gemeinsam mit SAP und der Mainzer Marktforschungsgesellschaft Forum“ in einer „sorgfältigen empirischen“ Untersuchung alle deutschen Finanzämtern unter die Lupe genommen haben. Mindestens fünf unterschiedliche und örtlich aktive Steuerberater seien nach ihren Erfahrungen mit den ihnen vertrauten Ämtern befragt worden. Dabei hätten die telefonischen Befragungen einen Katalog von 20 unterschiedlichen Fragen aus fünf Komplexen abgearbeitet, um „ein differenziertes Bild“ zu erhalten. Einer dieser fünf Themenkomplexe war angeblich die „allgemeine Betriebsprüfung“. Die Befragung habe sich auf jedes einzelne deutsche Finanzamt erstreckt.

impulse behauptet, die fünf befragten Berater hätten dem Finanzamt Annaberg als Ganzem, vor allem aber der dortigen Betriebsprüfung ein vernichtendes Urteil ausgesprochen. Bescheinigt hätten diese Berater den Annaberger Beamten

„weit überdurchschnittliche Schärfe-Werte. Spektakulär: die volle Punktezahl 100 (=gleich größtmögliche Strenge) beim Umgang mit Firmenchefs in der allgemeinen Betriebsprüfung.“

.

Der Vorsteher des Finanzamts hat sich von dem Magazin fotografieren lassen. Irgend ein Redakteur muss also mit ihm gesprochen haben und müsste ihn mit den Vorwürfen gegen die Betriebsprüfer seines Amts konfrontiert haben.

Entweder einer der fünf befragten Steuerberater oder der Finanzamtschef hätte dann wohl geantwortet, dass es dort keine Missstände geben könne, weil es dort keine Betriebsprüfung gibt. Doch offensichtlich hatte das Magazin weder dem Amtschef noch wenigstens einem der örtlich tätigen Steuerberater diese Frage tatsächlich gestellt.

Vergangene Woche erteilte der Deutsche Presserat dem Magazin dafür eine Rüge, die impulse abdrucken muss. Gerade bei einem Ranking, so des Presserat, sei besondere Sorgfalt geboten.

Mich persönlich schmerzt nicht nur der Vorgang, den die Rüge betrifft, sondern auch die Rüge selbst. Dieses Magazin habe ich in den 70er Jahren in Hamburg mit entwickelt. Im September 1980, von 25 Jahren, habe ich in Köln an der Gründung teilgenommen. Zwei Jahrzehnte habe ich dem Magazin dann als Redakteur angehört, ab 1982 für das Thema Steuern.

Steuern, Finanzämter, Steuerberater galten als Kernkompetenz des Blatts. Eine strenge Dokumentation prüfte gemeinsam mit dem Redakteur oder der Redakteurin jeden Artikel und jede Meldung gründlich gegen, bevor der Text in den Druck ging. Einmal im Monat gab es die Heftkritik, und Ungenauigkeiten wurden gnadenlos zerpflückt. Journalistische Sorgfalt gehörte zum Profil, und die Abonnenten – selbständige Unternehmer – vertrauten ihrer Zeitschrift und blieben ihr viele Jahre treu.

Die Dokumentare bewahrten auch mich vor manchem Fehler. Sie notierten am Rand des Manuskripts, auf welches Gespräch, welches Dokument oder welchen Informanten ich mich berief. In den späten neunziger Jahren rationalisierte der Verlag Gruner + Jahr die Dokumentation dann weg – angeblich um die Eigenverantwortung der Autoren zu stärken. Dann strich der Verlag die Mannschaft zusammen. Heute bemüht sich die Zeitschrift, ihr Profil durch Provokation zu schärfen. Das jedenfalls gelingt ihr noch. Es ist ein Jammer.

Michael Weisbrodt

P. S. Der Presserat teilt nie mit, wer die jeweilige Beschwerde bei ihm eingereicht hat. Aus Kreisen der Finanzbeamten erfuhr ich aber, dass es sich um die sächsische Zentrale der Deutschen Steuergewerkschaft mit Sitz in Chemnitz handelt, also der Gewerkschaft der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Finanzverwaltung. Auch dort hatte impulse einmal einen guten Ruf. Das Titelbild der ersten Nullnummer 1978 zierte der damalige Chef dieser Gewerkschaft, Hermann Fredersdorf, der für eine durchgehende Steuervereinfachung eintrat und einer Grundstimmung auch in der Unternehmerschaft entsprach. Auf dem Bild verbrannte der inzwischen 81jährige heutige Ehrenvorsitzende der Steuergewerkschaft eine Steuererklärung.

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One Response to “„Deutschlands schlimmstes Finanzamt"”

  1. Dietmar Eckardt sagt:

    Schlimmstes Finanzamt: Chemnitz-Sued; es ignoriert den StB des
    Steuerpflichtigen und veranstaltet ein regelrechtes Kesseltreiben in dem es dem Steuerpflichtigen einen Festsetzungs-Bescheide(Est/USt) nach dem anderen direkt an den Steuerpflichtigen Kleinstunternehmer sendet der infolge eines Rechenfehlers über die 17500-€-Grenze gekommen ist. Es beauflagt diesen für die letzten 2-Jahre alle Rechnungen mit Mehrwertsteuer zu versehen. FA wertet Mail-Hinweis des Steuerpflichtigen auf StB als Einsprüche gegen die Bescheide. Da der Steuerpflichtige nicht reagierte, im Glauben, dass das FA mit dem StB korrespondiert, erfolgte die mündliche Nachfrage des Steuerpflichtigen, warum hier die Ignorierung des StB erfolgt, wird damit begründet, dass dem FA keine entsprechende Postvollmacht des Steuerpflichtigen vorliegen würde.
    FA stellt im weiteren Einspruchsentscheid aus, in dem angeblich dem Antrag auf Verlaengerung der Zahlungsfrist stattgegeben wurde, was jedoch nicht erfolgte. Dieses Kesseltreiben
    gegenüber Kleinstunternehmern von denen kaum etwas zu holen ist, kann verglichen werden mit dem Schießen der Kanonen auf Spatzen, was kaum als
    rechtstaatlich anzusehen ist.
    Der StB wies das Ansinnen des FA zurück undberklärte, dass das Finanzamt an Hand des Briefwechsels hätte erkennen müssen, dass der StB den Steuerpflichtigen wirksam vertritt.

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