Verrenkungen des Sachverständigenrats

Gestern präsentierte der Sachverständigenrat (SVR) vor der Bundespressekonferenz sein Jahresgutachten 2005/06. Bezüglich der aktuellen Koalitionsverhandlungen stellte er sich dabei auf den sehr wackeligen Standpunkt, dass die künftige Bundesregierung die nächsten Konsolidierungsschritte auch ohne Steuererhöhungen schaffen müsste. Er legte zur Untermauerung im Kapitel 1 des Gutachtens eine tabellarische Liste „kurzfristiger Konsolidierungsmaßnahmen“ und der daraus resultierenden „Mehreinnahmen im Jahr 2006“ vor.

Als ziemlich decouvrierend empfand ich die Antwort des SVR-Vorsitzenden Bert Rürup auf meine Frage, wie die Sachverständigen mit der sofortigen Kürzung der Entfernungspauschale verfahren wollen, die sie vorschlagen. Hunderttausende von Arbeitnehmern habe die entsprechenden Freibeträge entweder bereits jetzt auf ihre Lohnsteuerkarten für 2006 eintragen lassen, oder werden das bis zum Jahresende noch tun. Rürup beharrte zunächst darauf, dass diese Änderung trotzdem noch möglich sein müsse.

Auf meine Nachfrage ergänzte er, es gäbe ja im folgenden Jahr die Einkommensteuererklärung, bei der die zu hoch eingetragene Entfernungspauschale dann wieder einkassiert werden könne. Nach der Pressekonferenz sprach ich ihn darauf noch einmal an, und er gab zu, dass diese Vorstellung illusorisch sei – „da haben Sie einen Punkt“.

Natürlich wünscht jeder vernünftige Mensch, dass die Konsolidierung tatsächlich ohne Steuererhöhung möglich wäre. Doch die Liste des SVR ist offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt. Sie beruht zu großen Teilen auf Änderungen des Steuerrechts, die nicht rechtzeitig bis zum Jahresende gesetzlich zu realisieren sind. So etwa nennt der SVR eine Liste der Produkte, die dem begünstigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent unterliegen, die aber künftig mit 16 Prozent versteuert werden sollen. Darunter Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, sowie der öffentliche Personennahverkehr.

Solche Mehreinnahmen voll haushaltswirksam für 2006 zu vereinbaren, ist illusorisch. Taxi-Uhren, Preisschilder, die Finanzierung von Bus- und Straßenbahntickets und dergleichen lassen sich nicht zum 1. Januar umstellen. Oder sollen die Taxis etwa die höhere Umsatzsteuer für die Zeit ab dem 1. Januar noch nachträglich entrichten müssen, obwohl sie ihre Taxameter kaum vor Ende des ersten Quartals neu programmiert haben?

Seine Behauptung, dass sich zusätzlich etwa 8,4 Milliarden Euro kassenwirksam für das kommende Jahr mobilisieren ließen, ohne Steuererhöhung, wenn nur der gute Wille da ist, zeigt: Der Sachverständigenrat lässt sich von Wunschdenken leiten.

Interessant übrigens auch, welche Verrenkungen der Sachverständigenrat zu zwei anderen Konsolidierungsthemen angestellt hat. Darunter die Frage, warum er bei Arbeitnehmern die Sonntags-, Feiertags- und Nachzuschläge kürzen will (was aus Lehrbuchsicht nicht zwingend ist, aber sich begründen lässt), die steuerliche Vorzugsbehandlung der Landwirte bei der Einkommensteuer und bei der Umsatzsteuer aber trotz der großen Haushaltsnöte seit Jahren standhaft tabulisiert (was sich lehrbuchmäßig überhaupt nicht begründen lässt). Meine gestrigen Fragen und die Antwort von Rürup und von Wolfgang Wiegard, dem letzten Vorsitzenden des SVR, stelle ich ins Weblog, sobald es meine Zeit erlaubt.

© Michael Weisbrodt

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